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Expertenkolumne 13.09.2019 08:25:50

Wer blutet bei blutigen Entlassungen?

Kolumne

Seit der Einführung der Fallpauschalen schicken Spitäler Patienten nach Operationen früher nach Hause, und es findet eine Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich statt. Wer profitiert, wer blutet?

Die Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2012 hat Spitäler dazu gezwungen, Leistungen vor und nach dem Spitalaufenthalt durch günstigere ambulante Behandlungen zu ersetzen oder Behandlungen ganz in den ambulanten Bereich auszulagern. Kritiker befürchteten damals, Spitäler würden Patienten zu früh entlassen, um Kosten zu sparen - man spricht von «blutigen Entlassungen» -, und die Qualität der Gesundheitsversorgung würde leiden. Hat sich diese Sorge bewahrheitet?

Die Tendenz zu immer kürzeren Spitalaufenthalten ist klar ersichtlich In Einzelfällen werden Patienten tatsächlich zu früh nach Hause oder in die Reha geschickt. Sie müssen wegen Komplikationen wieder ins Spital eingeliefert werden, was die gesamten Behandlungskosten erhöht. Tatsache ist aber auch, dass in der Schweiz viele Spitaltage gespart werden können - dies sollte aber mit Augenmass geschehen. Insgesamt habe die Qualität der Gesundheitsversorgung in den letzten Jahren jedoch nicht gelitten, meinen Patienten- und Spitalverbände. Und den Spitalaufenthalt so kurz wie möglich zu halten und Operationen vermehrt ambulant durchzuführen, ist ja auch im Interesse der Patienten, zum Beispiel wegen der erhöhten Infektionsgefahr in Spitälern.

Kantone vs. Krankenkassen

Eine unerwartet positive Bilanz zogen jüngst die Kantone. Sie konnten 2018 im Spitalbereich deutliche Einsparungen verzeichnen, da mehr Eingriffe ambulant durchgeführt wurden. Gemäss Berechnung der NZZ meldeten neun Kantone Einsparungen gegenüber ihrem Budget in der Höhe von insgesamt 200 Mio. Franken, Zürich konnte mit 112 Mio. Franken am meisten sparen.

In einigen Kantonen geben Listen vor, welche Operationen ambulant durchgeführt werden müssen, falls keine medizinischen Indikationen dagegensprechen (ambulant vor stationär, Avos). Dazu gehören zum Beispiel Kniearthroskopien, Krampfaderoperationen oder die Implantation eines Herzschrittmachers. Bei privat und halbprivat versicherten Patienten schlägt diese Verlagerung besonders stark zu Buche. Weil lukrativ für die Spitäler, wurden sie früher häufiger und länger stationär behandelt als allgemein versicherte Personen. Dieser systemische Fehlanreiz fällt bei ambulanten Eingriffen weg, da diese für Grund- und Zusatzversicherte gleich teuer sind.

Dass die Einsparungen der Kantone deutlich höher als erwartet ausfielen, ist eine grundsätzlich positive Entwicklung. Die Kantone sparen, da sie nur bei stationären Behandlungen mitzahlen müssen (55 Prozent der Fallkosten). Je weniger stationäre Aufenthalte, desto besser für sie. Doch wie sieht es für die Spitäler, Krankenkassen und Versicherten aus? Die Tarife für ambulante Behandlungen sind tiefer als jene für stationäre, das Gesundheitssystem sollte insgesamt also entlastet werden. Doch wer entlastet wird, und wieviel, ist nur bei den Kantonen mehr oder weniger klar - über alles andere streiten die involvierten Parteien.

Spitäler gegen alle

Da ambulante Eingriffe vollständig zulasten der Krankenkassen gehen, sprechen sie von deutlichen Mehrkosten für die obligatorische Grundversicherung und warnen vor zusätzlichen Prämienanstiegen. Versicherer fordern, dass die Kantone auch an ambulante Behandlungen einen Beitrag leisten. Vertreter der Politik erklären hingegen, die betroffenen Behandlungen seien stationär 2,3-mal teurer als ambulant. Wenn Krankenkassen also 100 Prozent der ambulanten Kosten tragen müssen, sei das nicht teurer als die bisherigen 45 Prozent der stationären Kosten.

Doch diese Rechnung stimmt nur so lange, wie die Tarife für ambulante Eingriffe so niedrig sind. Die Spitäler machen nämlich Einkommenseinbussen geltend, da die Fallpauschalen nicht kostendeckend und der ambulante Bereich defizitär seien. Sie haben diese Lücke bislang durch eine Quersubventionierung von stationär zu ambulant finanziert; diese Möglichkeit fällt jedoch teilweise weg, wenn sie weniger stationäre Eingriffe verrechnen können.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die Fallpauschalen und die Verlagerung von stationär zu ambulant führen nur in Einzelfällen zu blutigen Entlassungen. Die Kantone profitieren. Die Krankenkassenverbände betonen, ohne kantonale Zuschüsse sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Versicherten über höhere Prämien zur Kasse gebeten würden. Spitäler ihrerseits fordern kostendeckende Tarife. Es ist dringend nötig, dass sich Politik, Versicherer und Spitäler nicht von Partikularinteressen leiten lassen, über den Tellerrand hinausblicken und eine Lösung finden, bei der weder die Patienten noch ihr Portemonnaie bluten.

Autor: Stephan Wirz, Mitglied der Geschäftsleitung der Maklerzentrum Schweiz AG

Stephan Wirz ist Mitglied der Geschäftsleitung der Maklerzentrum Schweiz AG, einer führenden Anbieterin von Versicherungslösungen im Privatkundenbereich.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schliesst jegliche Regressansprüche aus.

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