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stocksDIGITAL 22.11.2013 16:57:54

Wir schnappen alle völlig über

Einmal mehr missverstehe die Börse die Geldpolitik, sagt Steen Jakobsen. Der Chefökonom der Saxobank erklärt, warum er auch seinen bankeigenen Modellen misstraut.

Von Steen Jakobsen*

Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte vergangene Woche ihren Refinanzierungssatz, und der Markt reagierte, indem die Finanzmarktakteure von einer grossen Überraschung sprachen. Aber diese Stimmen scheinen – wie immer – selbst das grundlegendste Verständnis von Geldpolitik und vom allgemeinen Politikgeschäft zu verkennen. Wie monetaristische Hüter der Geldpolitik ticken, zeigen zum Beispiel jüngste Äusserungen des Deutsche- Bundesbank-Präsidenten Jens Weidmann. Er trat in diesen Tagen Kritikern entgegen und verteidigte entschieden die Senkung des Leitsatzes durch die EZB. Denn Monetaristen haben eines gemeinsam mit den Keynesianern: die Angst vor Deflation. Für beide Lager sind Zinssenkun- gen «die» Abhilfe.

Die Angst vor Deflation

Die meisten Erklärungen der Finanzmarktteilnehmer gehen dahin, dass die EZB ein Signal für den Wechselkurs gesetzt habe. Aber der wirk- liche Treiber hinter dem Entscheid der Euro- Währungshüter ist wirtschaftlich und politisch motiviert, nämlich die Angst vor Deflation. So ist zum Beispiel im Rahmen des Austeritätspro- gramms in Spanien der nationale Konsumentenpreisindex in weniger als zehn Monaten von 1,8 auf 0,1 Prozent gefallen. Das ist nicht gerade ein Zeichen, das auf eine rasche Konjunktur- erholung hinweist, sondern es droht Deflation beziehungsweise Rezession. Als Chief Invest- ment Officer der Saxo Bank habe ich daher grosse DAX-Verkaufsoptionen gekauft.

Unsere bankeigenen Modelle signalisieren mir zwar immer noch eine starke Jahresendrally. Aber mit den erworbenen DAX-Put-Optionen sichere ich mir einen Schutz gegen allfällige Kursverluste. Denn ehrlich gesagt: Als seltene Ausnahme vertraue ich mir mehr als unserem Modell. Das passiert vielleicht einmal in 365 Handelstagen. Hier die Gründe im Detail, weshalb ich dem optimistischen Ausblick unserer hauseigenen Modelle misstraue:

1. Die spanische Konsumententeuerung fiel in weniger als zehn Monaten von 1,8 auf 0,1 Prozent.
2. Eine Fortsetzung dieses rückläufigen Inflationspfades führt aller Voraussicht nach im ersten Quartal 2014 in eine Deflation.

3. Europa hat die höchste Arbeitslosenquote aller Zeiten.
4. Die Rohstoffpreise, z.B. gemessen am CRB-Index, sinken weiter – normalerweise ein Signal für eine konjunkturbedingt nachlassende Roh stoffnachfrage, sprich für eine Rezession.
5. Unter den Rohstoffpreisen gilt Kupfer als besonders konjunktursensitiv – und dieses rote Industriemetall befindet sich ebenfalls im Sinkflug.
6. Die Straffung der geldpolitischen Zügel in den USA, das sogenannte Tapering, wurde (fälschli- cherweise) in die Zukunft verschoben. Und dies bloss aufgrund von zwei wissenschaftlichen Arbeiten ...

90 Prozent sind Politik

Eine einfache Lektion dieser Finanzkrise ist, dass die Impulse und Veränderungen des Marktes zu 90 Prozent politisch motiviert sind. Daher erwarte ich in den USA auch weiterhin politische Manöver – im schlimmsten Fall mit dem Szenario, dass das Tapering keine Chance hat, die Frage rund um die US-Gesundheitsreform (Obamacare) ungelöst bleibt und auch Janet Yellen als neue Chefin der US-Notenbank Fed unbestätigt bleibt.

Von den restlichen 10 Prozent Markttreiber, die nicht politisch motiviert sind, entfallen meiner Erfahrung nach 5 Prozentpunkte auf Entscheidungen, die den zwingenden Notwendig- keiten des realen Lebens entspringen. Und nur 5 Prozent machen fundamentale Faktoren aus.

Ich muss zugeben, dass ich in diesen Tagen häufig lächle. Die Welt scheint völlig überzu- schnappen. «Geniessen» Sie noch diese letzte Phase an den Finanzmärkten, in der die Börse jeden Tag 2 Prozent steigt und sinkt. Denn es ist ein Zeichen dafür, dass nicht Besseres, sondern Schlimmeres bevorsteht.

Leider.

* Steen Jakobsen, Chefökonom und Chief investment officer der Saxo bank, Kopenhagen.

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