Wahlsysteme in der Kritik |
13.11.2020 21:05:00
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US-Wahldebakel: Könnten digitale Wahlen mittels Blockchain eine Alternative sein?
Blockchain-Anwendungen sind zahlreich, das Potenzial scheint gross. Doch lässt sich dies auch auf Wahlen anwenden? Könnten durch digitales Wählen Vorwürfe von Wahlbetrug und Wahlfälschung dauerhaft der Vergangenheit angehören?
• Künftige Wahlen auf der Blockchain?
• Experten zwiegespalten
Die Wahlen in den USA haben die Geduld der US-Amerikaner aber auch die der Politikinteressierten in aller Welt auf eine harte Probe gestellt. Die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung stellte die Bundesstaaten vor enorme Herausforderungen. Hinzu kam die Corona-Krise, die viele US-Amerikaner dazu veranlasst hatte, ihre Stimme per Brief abzugeben.
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US-Wahlkrimi 2020
Insbesondere die Briefwahl war bereits vor der Wahl - vorrangig aus dem Lager der Republikaner - als "betrugsanfällig" bezeichnet worden. Diese Einstellung dürfte auch der Tatsache zu schulden sein, dass bereits im Vorfeld zu erwarten gewesen war, dass viele Demokraten-Wähler die Möglichkeiten der Briefwahl denen der physischen Präsenz in einem Wahllokal vorzogen. Dass schlussendlich tatsächlich nicht alles rund lief, Briefwahlstimmen erst mit Verspätung eintrafen und daher auch als letzte ausgezählt werden konnten, wurde im Laufe der Nach-Wahl-Tage deutlich. Doch Unregelmässigkeiten, wie sie der bisherige Amtsinhaber Donald Trump zuvor befürchtet hatte, konnten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nicht feststellen.
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Dennoch: Die Vorwürfe, dass es bei der US-Wahl nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, waren ausgesprochen und haben sich in den Köpfen vieler US-Wähler festgesetzt. Insbesondere weil sich die Lage von Donald Trump im Laufe der Auszählungen zusehends verschlechterte und Herausforderer Joe Biden - auch durch die späte Zählung der Briefwahlstimmen - im späteren Verlauf in vielen Staaten noch kräftig auf- und teilweise sogar überholen konnte.
US-Wahlsystem immer wieder in der Kritik
Dabei ist es bei weitem nicht das erste Mal, dass im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen in den USA Kritik aufkam. Nicht nur das Wahlsystem, dass es möglich macht, dass ein Kandidat in Summe mehr Stimmen als sein Herausforderer gewinnt, am Ende aber aufgrund der geringeren Anzahl der Wahlmänner dennoch der Unterlegene ist, wird viel diskutiert. Auch die Tatsache, dass die Auszählung der Stimmen in dem riesigen nordamerikanischen Land, das als eines der fortschrittlichsten der Welt gilt, noch immer recht antiquiert wirkt, wird von Beobachtern immer wieder als Kritikpunkt eingebracht. Die Infrastruktur ist teilweise veraltet, die Fehleranfälligkeit daher recht hoch. Einheitliche Geräte im ganzen Land sind Fehlanzeige, die Bundesstaaten selbst sind für die Durchführung der Wahlen zuständig, Art und Alter der dafür verwendeten Maschinen variieren teils massiv.
Dadurch steigt auch das Risiko, dass Hacker sich Zugang zu Wahlmaschinen verschaffen und die Wahlentscheidung beeinflussen könnten. Insbesondere ältere Geräte drohen, Ziel von Hackerangriffen zu werden. 2016 ist dies womöglich bereits einmal geschehen: Ermittlungen zufolge könnte der russische Geheimdienst Zugriff auf Teile des US-Wahlsystems bekommen haben und die Wahl zugunsten der Trump-Regierung beeinflusst haben.
Wahlen künftig auf der Blockchain?
Diese Probleme anzugehen, dürfte eine Herausforderung werden. Helfen könnte dabei ein neu diskutierter Ansatz: Wahlen über die Blockchain durchzuführen. Kryptoexperten haben in den vergangenen Tagen immer wieder entsprechende Diskussionen angestossen - einer der Bekanntesten unter ihnen: Ethereum-Gründer Vitalik Buterin. Auf Twitter kommentierte er einen Vorschlag des Binance-CEO Changpeng Zhao, der eine Blockchain-basierte Wahl-App ins Spiel gebracht hatte. Buterin räumte ein, es gebe "technische Herausforderungen, um ein sicheres, kryptografisches Abstimmungssystem" zu etablieren, grundsätzlich hält er dies aber für möglich.
Doch sind Blockchain-basierte Wahlen nicht noch deutlich anfälliger für Hackerangriffe, als alte Wahlmaschinen? Reiner Schmitt, Autor bei BTC-Echo, widerspricht dieser Einschätzung: "Im Wesentlichen ist die Blockchain ein digital verteiltes öffentliches Register. Im Gegensatz zu zentralisierten Netzwerksystemen verarbeitet, überprüft und zeichnet das dezentrale Register alle Transaktionen in seinem Knotennetz gleichzeitig auf.
Dies ist eines der wichtigsten Wertversprechen der Blockchain, einer Umgebung, in der Ressourcen gemeinsam genutzt werden. Durch die Transparenz eines dezentralen, gemeinsam genutzten Netzwerks können die Regulierungsbehörden gleichzeitig alle Transaktionen überwachen - in diesem Fall die Stimmen - und bei Manipulationsversuchen benachrichtigt werden", betont der Experte in einem Gastbeitrag für BTC-Echo.
Kleinere Vorstösse gibt es bereits
Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren immer mal wieder kleinere Vorstösse in diese Richtung. Auch hierzulande fanden bereits erste digitale Wahlen statt - wenn auch in kleinem Rahmen. Der Berliner Online-Abstimmungsanbieter Polyas ermöglichte 2020 ein E-Voting im Rahmen der dreitägigen Online-Mitgliederversammlung der Gema. Das digitale Wahlverfahren erfülle theoretisch alle Voraussetzungen einer freien, geheimen Wahl mit transparenten Kontrollmöglichkeiten wie wiederholtes Nachzählen und der Nachverfolgbarkeit, dass die Stimme korrekt eingegangen ist, erklärte Polyas-Kommunikationschefin Anna-Maria Palzkill gegenüber der Augsburger Allgemeinen Zeitung.
Doch nicht nur Unternehmen oder Vereine können von digitalen Wahlen profitieren, auch die Abstimmung über neue Regierungen könnten künftig über die Blockchain erfolgen. Erste Tests liefen etwa 2018 parallel zu den Präsidentschaftswahlen in Sierra Leone, wenn auch die eigentliche Wahl auf traditionellem Weg erfolgte.
That's right, @AgoraBlockchain was featured in @TechCrunch today. Read more about our #blockchain election in Sierra Leone! https://t.co/e2fh1kzSzj
- Agora (@AgoraBlockchain) March 15, 2018
Auch in Japan liefen in diesem Jahr erste Tests in der Stadt Tsubaka. Und auch bei den US-Wahlen gab es rund um die traditionelle Abgabe der Stimmzettel zumindest im Zusammenhang mit der Auszählung den Einsatz der Blockchain: Die Nachrichtenagentur AP hat die eingegangenen Wahlergebnisse auf den Ethereum- und EOS-Blockchains veröffentlicht. Auf diesem Weg wurden die Zahlen mit Hilfe der Software OraQle von Everipedia unveränderbar und dauerhaft aufgezeichnet.
Wie würde eine digitale Wahl ablaufen?
Viele Digitalexperten trauen der Blockchain tatsächlich zu, die Voraussetzungen für freie und demokratische Wahlen erfüllen zu können. Die grössten Kritikpunkte der US-Wahl - veraltete Wahlmaschinen, Ärger bei der Briefwahl, aber auch mögliche Manipulationen durch Wahlhelfer, die die Stimmen auszählen - würden auf diesem Weg komplett eliminiert.
Jeder Wahlberechtigte könnte mit Hilfe eines Token einen individuellen "Stimmzettel" erhalten, der ihm sein Stimmrecht sichert. Mit Hilfe des Token kann dann die Abstimmung erfolgen - auch auf digitalem Weg. Genutzt würde eine Blockchain, die für alle User - auch die Wählenden selbst - jederzeit einsehbar ist, was die Wahlen transparent und überprüfbar machen würde. Wähler könnten auf diesem Weg von Ort und Zeit unabhängig abstimmen - je nach individueller Vorliebe. Wahlhelfer gäbe es dabei nicht, da die Stimmzählung digital erfolgt und für jeden transparent bleibt.
Ist die Blockchain noch nicht soweit?
Doch so modern und einleuchtend es klingt: Bis zu einer Abstimmung auf Blockchain-Basis ist es möglicherweise noch ein weiter Weg. Denn zunächst müssen Blockchain-Prozesse in einer breiten Öffentlichkeit etabliert werden, um das Vertrauen der Wahlteilnehmer in das System sicherzustellen. Hinzu kommt: Aktuell gäbe es zumindest im Hinblick auf "geheime" Wahlen noch Justierungsbedarf, denn ob ein Wahltoken in der digitalen Welt wirklich vollständig anonymisiert werden kann, dürfte eine technische Herausforderung bleiben.
Die Sorge um die Sicherheit und Hackeranfälligkeit dürfte aber wohl zunächst die vorrangigste bleiben. Alle möglichen Sicherheitslücken müssten zweifellos ausgemerzt werden, was eine Mammutaufgabe in technischer Hinsicht bedeuten dürfte.
Das betonte - in drastischen Worten - auch die Gründerin von MyCrypto: "Okay einatmen, ausatmen. Solange wir nicht in der Lage sind, falsches Internetgeld zu sichern, mit dem Tech-Geeks spielen, die es aus Spaß manipulieren während sie ihre Zehnägel schneiden, sollten wir nicht eine Sekunde daran denken, dass wir bereit für Blockchain-Demokratie sind", erklärte sie auf Twitter.
Okay. Breath in. Breath out.
- Taylor Monahan (@tayvano_) November 5, 2020
WE CANNOT COME CLOSE TO SECURING FAKE INTERNET MONEY THAT TECH GEEKS PLAY WITH AND MANIPULATE FOR FUN WHILE CLIPPING THEIR TOENAILS DO NOT THINK FOR A SECOND WE ARE READY TO BLOCKCHAIN DEMOCRACY. https://t.co/9BujAUSiGA
Die ersten digitalen Wahlen werden wohl noch dauern
Dass die ersten komplett digitalen Wahlen schon bald stattfinden werden, dürfte in den nächsten Jahren nicht zu erwarten sein. Voraussetzung dafür wäre ohnehin ein deutlich breiterer Rückhalt in der Bevölkerung, was neben einer grossflächigen Informationskampagne wohl auch eine zunehmende Adaption von Kryptowährungen und Blockchain-Prozessen im Alltagsleben vieler Bürger voraussetzen würde.
Die Blockchain bringt Ansätze mit, um viele der Probleme aktueller Wahlen zu lösen, wirft allerdings auch neue auf. Bis es zu einer technischen Lösung kommt, mit der sich ein Grossteil der Wahlberechtigten anfreunden kann, wird wohl noch eine ganze Weile vergehen.
Was man zudem nicht vergessen darf: Sollte es irgendwann zu einer verlässlichen Lösung kommen, wird man wohl nicht umhin kommen, zumindest den Bürgern, die auf Smartphone, Internet & Co. verzichten oder denen der Zugang dazu fehlt, eine Wahlalternative anzubieten, so dass wohl eine Blockchain-Wahl allenfalls ergänzend ins Auge gefasst werden könnte.
Redaktion finanzen.ch
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